Gespräch Teil II: Wieso, weshalb, warum – wer nicht initiiert, verändert nichts

Gespräch Teil II: Wieso, weshalb, warum – wer nicht initiiert, verändert nichts
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Warum wurde das Netzwerk gegründet? Was ist bisher geschehen? Wie geht es weiter und warum eigentlich frühkindliche kulturelle Bildung? Im April 2021 „trafen“ sich die Initiator:innen des Netzwerks zu einem schriftlichen Interview. Jede:r am eigenen Computer, zu der Zeit, die am besten passte. Und trotzdem: Es entwickelte sich ein echtes Gespräch. Lesen Sie hier den ganzen Text – ungekürzt und mit allen Kommentaren, auch denen, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Vor einiger Zeit hattet Ihr die Idee, das Netzwerk FKB zu initiieren und zu gründen. Wie kam es dazu?

JT: Ich durfte ab 2016 das Programm „Kunst und Spiele“ seitens der Robert Bosch Stiftung verantworten. Durch die wundervolle Zusammenarbeit mit der großartigen Programmleiterin Natalie Kronast und ihrer Kollegin Lena Vorholt, aber auch durch das ebenso großartige Kunst und Spiele-Netzwerk habe ich wahnsinnig viel über die Professionalität von frühkindliche kulturelle Bildung gelernt.

Zu sehen, was möglich ist, wenn Kreativität, Kompetenz, Offenheit und Engagement zusammentreffen, wie sich große Kunst- und Kultureinrichtungen der sehr jungen Zielgruppen öffnen, was Kitas leisten, beeindruckte mich zutiefst. Ich glaube, dass wir mit dem Programm einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Stellenwert der fkB geleistet haben, aber – wir wollten mehr.

Denn neben den vielen blinden Flecken sahen wir mindestens genauso viel Potenzial. Neben Erweiterungen und Umdenken im Programm selbst, das Hervorbringen unserer „FKB-Bibel“ „Positionen Frühkindlicher Kultureller Bildung“ und der Zusammenarbeit mit Fabian am ersten Masterstudiengang zur fkB, haben Natalie und ich die Möglichkeit genutzt, die uns stiftungsseitig zur Verfügung stand.

Recht schnell hatten wir die Zusagen von rund 20 Expert:innen zusammen, Menschen aus der Kunst, aus der Bildung, der Wissenschaft, der Theorie, der Praxis, die eine große Kompetenz, aber auch Liebe zur fkB verbindet. Die Denkwerkstatt war geboren. Rund ein Jahr hat diese beeindruckende Gruppe die Gründung des Netzwerks FKB vorbereitet und viele Ideen mit Leben gefüllt.

AT: Eigentlich bin ich keine Expertin für das Frühkindliche und war auch eher skeptisch, zur Denkwerkstatt etwas beitragen zu können, als ich gefragt wurde, ob ich mitdenken würde.

In den letzten zehn Jahren meines Berufslebens habe ich mitgearbeitet am Berliner Rahmenkonzept Kulturelle Bildung und dessen Umsetzung und Weiterentwicklung und musste dabei erfahren, dass die ästhetische Bildung vor allem für Kindern im Kita-Alter von vielen Trägern, Verantwortlichen und Akteuren als ein recht nachrangiges Thema wahrgenommen wird, für das kaum Ressourcen vorgesehen sind und dass auch in der Ausbildung nur ein Thema neben vielen anderen darstellt.

Und ich konnte miterleben, dass sich an diesem Zustand etwas ändern lässt. Nicht rasch, nicht flächendeckend, aber sukzessive…und es geht nur mit vielen Verbündeten.

Off the record SeK für das Netzwerk FKB: Liebe Angelika ist das der Grund, das du trotz deiner anfänglichen Skepsis mitgearbeitet hast?

Off the record AT antwortet SeK: Ja, Natalie Kronast hat mich davon überzeugt, dass meine Erfahrungen mit früher kultureller Bildung aus der Arbeit am Rahmenkonzept und dessen Umsetzung – aus der Perspektive von Verwaltung – wichtig und anregend sein könnten für die Denkwerkstatt.

WK: Ich habe 2008 mit meinem Familienzentrum das Projekt “Kunst unterm U” mit Blick auf die Kulturhauptstadt 2010 initiiert. Wir sind dann 2013 gemeinsam mit dem Museum Ostwall im U in das Programm “Kunst und Spiele” eingestiegen und haben in dem Rahmen das Angebot “Weltentdecker und Farbmischer” entwickelt.

Die wunderbare Erfahrung, bundesweit mit tollen Menschen aus den unterschiedlichsten Kultursparten und Stiftungen zusammen zu arbeiten und der spannende, erfolgreiche Transfer in die praktische Arbeit mit den Kindern – haben mich, trotz meiner Bedenken, ob ich dafür der Richtige bin, dazu bewogen, in der Denkwerkstatt mitzuarbeiten.

Diesen Denk-Prozess miterlebt zu haben, der seinen Abschluss in der Gründung des Netzwerkes hatte, war für mich ein großartiges Erlebnis in meinem beruflichen Leben.

In der Denkwerkstatt war immer spürbar, dass alle Teilnehmenden engagiert und mit viel Herzblut für das gemeinsame Thema “frühkindliche kulturelle Bildung” standen. Rückblickend bin ich immer noch erstaunt und auch stolz, dass und wie wir unser Ziel erreicht haben.

Off the record: WT an alle: Es hat viel Spaß mit Euch gemacht – ich weiß nicht, ob ich für eine andere Veranstaltung 9 Stunden an einem Tag im Zug gesessen hätte!!

Könnt ihr die Stimmung oder die Stimmungen beschreiben, die euch damals beim Gründungsprozess begleitet hat/haben?

AT: In der Denkwerkstatt kamen viele Akteur:innen zusammen, die zuvor im bundesweiten Programm “Kunst und Spiele” mitgearbeitet hatten. Vertreterinnen der Stiftungen, die dieses Programm initiiert hatten, Erzieher:innen aus den Kitas, die daran teilgenommen hatten, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen aus Kulturinstitutionen, Wissenschaftler:innen.

Viele kannten sich aus der gemeinsamen Arbeit im Programm. Ich war eine der wenigen, die von außen neu dazugekommen war, noch dazu mit einem Verwaltungshintergrund. Das war insgesamt so spannend wie irritierend und herausfordernd, für alle, glaube ich.

Off the record: JT kommentiert hier AT: Liebe Angelika, es waren gar nicht sooo viele Kunst und Spiele-Teilnehmer*innen wie du sagst. Habe nachgezählt: 7 von 21 😊 Das nur zur Wahrnehmung unseres Lieblingsprogramms!

Off the record von AT an JT: Hieran sieht man, wie die Erwartung und das Vorwissen die Wahrnehmung beeinflussen. Ich hatte das Gefühl, ihr kennt euch alle und habt schon ganz viel miteinander geschafft und ich dachte unentwegt, wie schade, dass ich nicht beim Programm hatte dabei sein können.

Off the record: JT antwotet auf AT: verstehe.

JT: Die Stimmung beim Kickoff (des Netzwerk FKB; Anm. d. Redaktion) war großartig. Eine tolle Aufbruchsstimmung. Das Gefüh,l bei einer besonderen und wichtigen Sache dabei zu sein, lag in der Luft.

Viele bekannte Gesichter, aber auch sich fremde Menschen, die eine gemeinsame Sache eint. Ganz viel Austausch, Sympathie, Wertschätzung und Ideen.

Ich erinnere mich aber auch an die Aufregung der Denkwerkstatt zuvor. Uns war wichtig, unsere einjährige Vorarbeit sichtbar zu machen, die Ergebnisse unserer Diskussionen, unsere Vorabüberlegungen, gleichzeitig wollten wir dem Netzwerk als partizipativem Verbund Raum und Freiheit geben, Entscheidungen selbst zu treffen und sich zu formieren.

WK: Rückblickend bin ich unheimlich froh, dass die Kick-off-Veranstaltung noch in Präsenz stattfinden konnte. In der echten Begegnung an einem für mich in den letzten Jahren wichtig gewordenen Ort, den Abschluss des Denkwerkstattprozesses und damit den Start in das neue Netzwerk zu erleben, war aufregend, spannend, interessant und insgesamt einfach ein tolles Erlebnis!

Es war beruhigend und schön, “alte” und vertraute Weggefährt:innen aus Kunst und Spiele dabei zu haben, und es war bereichernd, auch neue begeisterte und motivierte Menschen kennenzulernen.

Wieso habt ihr euch eigentlich dafür entschieden, ein Netzwerk zu gründen? Ihr hättet ja zum Beispiel auch einzelne Projekte im frühkindlichen Bereich unterstützen können?

AT: Als die Denkwerkstatt mit ihrer Arbeit begann, wusste niemand genau, wie der Weg aussehen würde, der uns zu einem Netzwerk führt.

In einem ersten Schritt haben wir gemeinsam darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten es gibt, die Arbeit aus dem Programm “Kunst und Spiele” fortzusetzen, den Lern- und Erfahrungsprozess aus dem Programm nicht abbrechen zu lassen, eine Verstetigung zu erreichen, die nicht nur schlicht Perpetuierung ist, einen Prozess anzustoßen, der die Fäden des Programms aufnimmt und “weiterstrickt”…

FH: Wir sind in einem Feld unterwegs, das sehr heterogen ist: Verschiedene Ausbildungen, verschiedene Zuständigkeiten, verschiedene Regelungen, verschiedene Möglichkeiten. Und immer die Gefahr, allein an Grenzen des Machbaren zu stoßen. Da ist es großartig, sich mit anderen zu vernetzen, sich auszutauschen, die Ressourcen und Kompetenzen zusammenzubringen und gemeinsam Chancen zu ergreifen.

AT: Was Fabian hier schreibt, formuliert hervorragend die Empfindungen derer, die im Programm mitgearbeitet hatten und für die Zukunft nicht darauf verzichten wollten, sich mit anderen auszutauschen.

JT: Die Robert Bosch Stiftung hat mehr als 12 Jahre Projekte im Feld der frühkindlichen kulturellen Bildung gefördert. Kleinere Förderungen bis hin zu dem großen Programm „Kunst und Spiele“. Die Projektförderungen ermöglichen Praxis. Ohne Praxis funktioniert die frühkindliche kulturelle Bildung nicht. Wir waren an einem Punkt angekommen, an dem der Wunsch nach Strukturen, nach Lobby und interdisziplinärer Zusammenarbeit immer lauter wurde. Das haben wir versucht umzusetzen.

WK: Ich habe mich in dem Programm Kunst und Spiele immer wie in einem Netzwerk gefühlt. Von daher war ich sehr froh, dass im Prozess der Denkwerkstatt, sich der Netzwerkgedanke herauskristallisierte.

Netzwerkarbeit bedeutet für mich gemeinsames Engagement für eine gemeinsame Sache, Lust auf Zusammenarbeit, Unterschiedlichkeiten und andere Meinungen wertzuschätzen und auch und insbesondere Stärke.

Die brauchen wir auch, wenn wir bundesweit dieses Thema angehen, was als Bildungsthema originär in den Ländern verankert ist und dort, das hat die Pandemie leider gezeigt, immer noch sehr schnell nach hinten runterfällt und “in der Not” verzichtbar ist.

Ich persönlich finde ja Netzwerkarbeit für Außenstehende schwer zu greifen. Vielleicht könnt ihr noch mal für alle, die das Netzwerk FKB noch nicht so gut kennen, erklären, wie es aufgebaut ist?

TK: Das angenehm un-hierarchisch gebaute Netzwerk arbeitet nach dem Prinzip der Selbstorganisation: wenn sich für die Bearbeitung von Themen innerhalb des Feldes genug Menschen finden, wird eine AG aufgemacht – oder eben auch wieder geschlossen, wenn das Thema „durch”“ ist.

Der Rhythmus der Treffen und die Arbeitsformen, alles liegt in den Händen der Netzwerker:innen selbst. Das unheimlich Bereichernde an unserem Zusammenschluss ist, dass wir durch die vielen unterschiedlichen Perspektiven auf und Wissensbestände zu dem Feld alle miteinander viel voneinander lernen und richtig vorwärtskommen. Ohne die Geschäftsstelle würde das aber nicht funktionieren, die halten uns zusammen, bauen Plattformen der Begegnung und sichern entstandenes neues Wissen.

Welche konkreten Veränderungen möchtet ihr durch die Netzwerkarbeit erreichen? Auf der strukturellen Ebene, aber auch im Alltag der Kinder, ihren Familien, der Kultureinrichtungen, Krippen oder Kindergärten?

AT: Ganz wichtig ist es, Aufmerksamkeit zu schaffen für das Thema, sowohl bei den Entscheider:innen in Politik und Verwaltung, als auch bei den Trägern, den Eltern, den Akteur:innen in den Kitas, den Kultureinrichtungen, den Künstler:innen. Und das geht am ehesten durch gute Aktionen, Kooperationen vor Ort, über die im Vorfeld und danach auch geredet und geschrieben, sich ausgetauscht wird.

Nur dann wächst sukzessive auch das Verständnis dafür, dass frühe kulturelle Bildung eben nicht irgendein Extra ist, auf das man in der frühkindlichen Bildung zur Not auch verzichten kann, sondern dass es den essentiellen Kern von Bildung im frühen Kindesalter ausmacht.

Ästhetische Erfahrungen kann man an allem machen, was man ist und was einen umgibt. Nur muss man gut begleitet werden, muss offen sein – nicht unentwegt “bespielt” und zugeschüttet mit Nichtigkeit, man muss wissen, wie das geht und Menschen wie Institutionen kennen, die unterstützen können.

WK: Die grundlegenden Aussagen hat Angelika schon gemacht. Ich sehe für mich in der frühkindlichen kulturellen Bildung und damit in der Netzwerkarbeit eine große Chance, mit und über die jungen Kinder auch die Familien stärker zu erreichen und für das Thema zu begeistern.

Von daher engagiere ich mich im Netzwerk in der Arbeitsgruppe Eltern. Kultur und Kunst bringt Menschen/Familien mit sehr unterschiedlichen Familiengeschichten ins Gespräch und hat eine sehr verbindende Wirkung. Kulturelle Bildung gehört für mich ohne “wenn und aber” in mein Arbeitsfeld “Familienbildung”.

NK: Das Hauptziel ist nach wie vor, der frühkindlichen kulturellen Bildung mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen und konkretes Handeln zu bewirken: Mehr Geld, bessere Strukturen, prominente Fürsprecher und ein Verständnis, was kulturelle Bildung kann, besonders im frühen Kindesalter.

Wir müssen erreichen, dass Kulturelle Bildung nicht mehr nur als nice to have angesehen wird und wenn überhaupt erst in der Schule als relevant angesehen wird. Das erreichen wir, indem wir uns gegenseitig fachlich stärken und eine gemeinsame Stimme entwickeln.

Veränderungen brauchen Zeit, konnte das Netzwerk schon Prozesse anstoßen? Wo steht das Netzwerk mit seiner Arbeit gerade?

AT: Dazu wurde bereits sehr viel gesagt. Dafür, dass es uns erst einundeinviertel Jahr gibt, haben wir sehr viel erreicht. Und darauf dürfen wir durchaus stolz sein. Alle miteinander, ganz besonders aber Anke und Senem!

FH: Eine wirklich entscheidende Herausforderung ist die strukturelle Anbindung frühkindlicher kultureller Bildung. Dieses Feld sitzt oft “zwischen den Stühlen”, wenn es um politische und administrative Verantwortlichkeiten geht, wenn es um die Aus- und Weiterbildung geht, wenn es um die Finanzierung geht.

Hier liegt noch viel Arbeit vor uns: Das Netzwerk muss tragfähige, verlässliche und verantwortliche Verbindungen herausbilden. Wir müssen uns den festen Platz in den Strukturen nicht erkämpfen (weil es den nicht gibt), sondern überhaupt noch schaffen.

WK: Ich kann mich da nur Angelika anschließen – obwohl wir in einer sehr schwierigen Zeit an den Start gegangen sind, die die Kindertageseinrichtungen, die Kultureinrichtungen und die Kulturschaffenden über ihre Grenzen hinaus belastet (hat), erlebe ich so viel motivierte Menschen, die zeigen, dass das Netzwerk trotz der hohen Belastung lebt und arbeitet.

NK: Richtig gut ist das Netzwerk schon im Inneren: Im fachlichen Austausch der Mitwirkenden, die sich gegenseitig stärken, beraten, Informationen untereinander austauschen. Es ist immer noch Vieles im Aufbau. Jetzt geht es darum, sich nach außen Gehör zu verschaffen und mit lauter Stimme Lobbyarbeit für das Thema zu machen, denn es wird immer wichtiger.