Anke von Hollen: Bildende Kunst und der Besuch von Museen ist ja auch in der Erwachsenenwelt nicht selbstverständlich. Ist das ein Thema in Ihrer Kita?
Natalie Kronast: FRÖBEL hat die Kulturelle Bildung als einen wichtigen übergreifenden Schwerpunkt fest in Leitbild und Strategie verankert. Basis dafür ist auch Art. 31 der UN-Kinderrechtskonvention, der Kindern ein Recht auf die Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben zuschreibt. Unser Ziel ist es, die frühe Begegnung mit Kunst und Kultur in all ihren Facetten in den knapp 180 Einrichtungen zu stärken – möglichst individuell und bedarfsorientiert und nicht als Gießkannenprinzip.
Christina Langhorst: Auch bei uns gehören kulturelle Bildungsbereiche wie Kunst und Gestaltung, Musik, Wohnumfeld und Stadt neben zehn weiteren Bildungsbereichen zum pädagogischen Konzept des Trägers. Die bildende Kunst ist ein fester Bestandteil in unserer täglichen Kita-Arbeit.
Bettina Marsden: In der Auseinandersetzung mit künstlerischen Werken liegt so viel Potenzial für die Kita-Pädagogik und für die Kinder: Sie können individuelle Erfahrungen in der Gemeinschaft machen. Die kreative Auseinandersetzung mit Kunstwerken eröffnet zahlreiche Bildungsprozesse. Sie lässt Kinder Diversität, Konsens und Dissens erleben und unterstützt sie, mutig, selbstbewusst, empathisch und neugierig ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Wir besuchen mit unseren Kindern regelmäßig und wiederholt bestimmte Kultureinrichtungen.
Johannes Hauenstein: Wir haben für unsere Vorschulkinder einen wöchentlichen „Weltentdecker-Tag“ eingeführt. Da haben wir mit den Kindern viele Orte ihrer Lebenswelt besucht. Dazu gehörten natürlich auch Museen und Ausstellungen.
Natalie Kronast: Der Bezug zur Lebenswelt und zum Kindergarten-Alltag ist immens wichtig. Idealerweise ist der Besuch einer Kultureinrichtung mit einem Thema verknüpft, das im pädagogischen Alltag gerade von den Kindern bearbeitet wird oder sie besonderes beschäftigt. Und wenn wir vom Kind aus denken, sind wir ganz schnell weg von unseren „Bildungsschubladen“ und der Vorstellung, dass kulturelle Bildung etwas Zusätzliches ist oder gar einen Event-Charakter hat.
Christina Langhorst: Ein wesentlicher Bestandteil unserer täglichen Arbeit ist die Projektarbeit. Dann schauen wir, welche Museen gerade passende Angebote zu unserem Thema machen. Dabei entdecken wir Pädagoginnen häufig kulturelle Angebote, von denen wir vorher gar nichts wussten. Manchmal sind aber auch angekündigte Ausstellungen der Auslöser, um ein Thema gemeinsam mit den Kindern zu bearbeiten.
Natalie Kronast: Aus meiner Sicht ist eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Kultureinrichtungen und Kindergärten besonders wertvoll, fruchtbar und nachhaltig. Deshalb unterstützen wir unsere Einrichtungen auch beim Abschluss von Kooperationsverträgen.
Bettina Marsden: Das teile ich sehr. Ein Kooperationsvertrag gibt auch der Kultureinrichtung die Chance, von der Kita und den Kindern zu lernen. Uns hat die schon langjährige Zusammenarbeit mit dem DFF – das ist das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum – gezeigt, wie gut wir gemeinsam
Bildungsprozesse nachhaltig, ko-konstruktiv und qualitativ hochwertig gestalten können. Und auch das DFF konnte von den Kindern über die Jahre viel lernen.
Natalie Kronast: Und dabei ist unser Appell an die Kultureinrichtungen: Bezieht auch die Kinder frühzeitig in die Entwicklung von Angeboten mit ein. Wir Erwachsenen sollten uns nicht anmaßen, allein zu entscheiden, was und in welcher Form etwas für Kinder geeignet oder nicht geeignet ist. Partizipation und Selbstbestimmung sind für uns auch in der kulturellen Bildung unabdingbar.
Anke von Hollen: Wie gehen Sie denn mit den anfallenden Kosten für den Besuch einer Kultureinrichtung um?
Johannes Hauenstein: Im Rahmen unseres „Weltentdecker-Tages“ haben wir die Kinder langsam an Museen herangeführt. Wir haben mit einem kleineren, überschaubaren Haus begonnen und sind erst kurz vor dem Ende des letzten Kita-Jahres in ein großes Haus gegangen. Entscheidend für die Umsetzung bei uns war, dass wir die Besuche in den Museen kostenlos buchen konnten.
Christina Langhorst: Wir finanzieren den Aufwand beim Besuch eines Museums, also Fahrtkosten, Eintritt und Kosten für Führungen, über unseren Förderverein. Ich fände es wünschenswert, wenn ein Besuch von Kulturinstitutionen für Kitas grundsätzlich kostenfrei wäre.
Natalie Kronast: Das möchte ich sehr unterstützen. Hier braucht es dringend ein Commitment, dass mindestens öffentlich finanzierte Kulturorte für Kindergärten freien Eintritt und kostenfreie Angebote bieten, damit der Besuch dort selbstverständlich werden kann. Und wenn wir möchten, dass kulturelle Bildung unabhängig vom Elternhaus wird, müsste die öffentliche Hand eigentlich auch die Besuche in privaten Kultureinrichtungen unterstützen.
Johannes Hauenstein: Aus einer früheren Tätigkeit hatte ich bereits Erfahrung mit museumspädagogischen Angeboten. Die dienten meiner Kollegin und mir als Basis, später eigene Führungen mit den Kindern zu machen. Die waren von den Fragen der Kinder und dem gemeinsamen Forschen an Kunstwerken geleitet. Dafür fielen dann natürlich keine zusätzlichen Kosten an.
Anke von Hollen: So ein Besuch einer Kultureinrichtung braucht ja Vorbereitung. Was ist Ihnen dabei wichtig?
Christina Langhorst: Im Rahmen des Projektes sprechen wir mit den Kindern natürlich auch über den bevorstehenden Besuch. Wir fragen nach ihren Vorerfahrungen, betrachten Fotos vom Museum, nutzen thematisch passende Bilderbücher, besprechen auch den Weg dorthin. Denn mit den Kindern das „schützende Haus“ der Kita zu verlassen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und dann ein unbekanntes Gebäude zu betreten – das ist alles sehr spannend und aufregend. Die Kinder lernen dabei auch ihr Umfeld, ihre Stadt kennen, lernen sich zu orientieren und werden sicherer im öffentlichen Straßenverkehr.
Bettina Marsden: Wir erarbeiten die Regeln, die für den Besuch des Museums und den Weg dahin gelten, immer mit den Kindern gemeinsam. Was partizipativ erarbeitet und von allen verstanden wurde, lässt sich auch leichter umsetzen. Den Fokus legen wir dabei lieber auf das, was die Kinder dürfen, weniger auf die Verbote.
Christina Langhorst: Im Vorfeld kontaktieren wir natürlich unsere Ansprechpersonen in der Ausstellung, verschaffen uns einen Überblick über das jeweilige Angebot und besprechen auch besondere Bedarfe der Gruppe. Die Eltern werden rechtzeitig über alles Notwendige informiert. Wichtig sind oft festes Schuhwerk für den Tag, Rucksack, Getränk und besonders pünktliches morgendliches Erscheinen für einen gemeinsamen Start an der Kita.
Johannes Hauenstein: Bei uns gehörten immer ein Klemmbrett und Malstifte zur Ausstattung jedes Kindes. Denn die Kinder haben während des Besuchs Skizzen von einem Kunstwerk gemacht, das sie besonders mochten. Nach dem Besuch konnten sie die Skizzen dann weiter ausarbeiten. Die Bilder wurden später in der Kita ausgestellt.
Anke von Hollen: Und wie gestalten Sie den Besuch in einer Kultureinrichtung?
Christina Langhorst: Wenn wir im Museum ankommen, werden die Kinder meist von einem Museumspädagogen begrüßt, der dann das weitere Programm gestaltet. Wichtig ist, dass auch beide
Begleitpersonen der Kinder das Angebot begeistert mitmachen. Dadurch machen wir immer wieder neue, ganz ähnliche Erfahrungen wie die Kinder und können das Erlebte später besser auf Augenhöhe mit den Kindern zusammen reflektieren.
Bettina Marsden: Um vertraut zu werden mit einem neuen Ort, brauchen die Kinder die Möglichkeit, sich den neuen Ort anzueignen, am besten mit allen Sinnen, vor allem durch Bewegung darin, durch Singen und ihn klingen lassen, durch Tasten und Fühlen. Der Besuch muss diese Zeitressourcen unbedingt umfassen.
Johannes Hauenstein: Das haben wir auch so gemacht. Wir haben uns zu Beginn des Besuchs auch immer mit dem Alter des Gebäudes beschäftigt, haben uns über das Alter der Kinder und Vergleichszahlen, die die Kinder schon kennen, langsam dieser oft hohen Zahl angenähert. Wenn das Haus durch einen bekannten Architekten gebaut wurde, haben wir uns auch mit den Buchstaben in seinem Namen beschäftigt. Viele kennen die Vorschulkinder ja schon. Ich hatte für diesen Start immer die Ziffern null bis neun sowie die notwendigen Buchstaben dabei. Das Foyer der meisten Häuser bietet genügend Platz für dieses Ankommen. Danach sind wir dann gemeinsam zu dem Kunstwerk gegangen, das ich zuvor für unseren Besuch ausgewählt hatte. Oft sind wir aber schon auf dem Weg dorthin an anderen Werken hängen geblieben, weil die Kinder es sich genauer ansehen wollten. Bei Skulpturen haben wir überlegt, welche Materialien wohl verwendet wurden und über unsere Eindrücke gesprochen. Gegenständliche Werke haben die Kinder oft schnell erfasst. Bei abstrakten Bildern waren unsere Gespräche deutlich ergiebiger und aufgeregter. Nachdem die Kinder ihre Skizze von einem Werk ihrer Wahl angefertigt hatten, galt es den Weg zurück zum Foyer zu finden. Je nach Gelegenheit haben wir dort, in der Cafeteria oder auch draußen ein Picknick gemacht. Diese Mittagspausen aus dem Rucksack der Kinder waren immer sehr beliebt.
Christina Langhorst: Manchmal möchten die Kinder länger als im Rahmen des Besuchs möglich an einzelnen Kunstwerken verweilen. Diesen Wunsch nehmen wir dann immer als Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass das Haus ja auch für ihre Familie geöffnet ist. Daran, dass Kinder später noch einmal von einem Familienbesuch berichten, merken wir, wie sehr unser Besuch immer wieder in die Familien hineinwirkt. Diese Berichte regen jedes Mal auch die anderen Kinder an, noch einmal wieder über den gemeinsamen Besuch und ihre Erlebnisse dort zu sprechen.
Bettina Marsden: Unsere Kooperation mit dem DFF ermöglicht uns wiederholte Besuche dieses Kulturortes. Die Kinder lieben diese Wiederholungen und machen sich das Museum immer mehr zu eigen. Wenn sie Weg, Gebäude und die Menschen dort schon kennen, können sie ihre Aufmerksamkeit auch stärker auf die Kunstwerke richten und entdecken jedes Mal etwas Neues, bisher noch nicht Wahrgenommenes an ihnen. Wir beobachten dabei, dass Kinder mit ihrer Sicht auf die Kunst inspirierte und hinterfragende Bürger sind, die deutlich zeigen, was sie anregend empfinden. Und sie weisen auch auf Missstände und Widersprüche hin, was wiederum die Perspektive von uns Erwachsenen sehr bereichern kann.
Anke von Hollen: Ich stelle mir einen Besuch mit einer Kita-Gruppe in einem Museum auch herausfordernd vor. Auf welche Herausforderungen sind Sie denn bei Ihren Besuchen bisher schon gestoßen?
Christina Langhorst: Ein Problem ist manchmal die Gruppengröße: Museen in unserem Umfeld wollen oft nur Gruppen von maximal zehn Kindern haben. Hier wünschen wir uns mehr Flexibilität, um Mehraufwand und zusätzliche Kosten zu sparen. Manchmal sind die speziellen Angebote auch erst ab einem gewissen Alter vorgesehen. Da wünschen wir uns auch Angebote für jüngere Kinder ab vier Jahre.
Natalie Kronast: Auf der anderen Seite fehlt es Kultureinrichtungen manchmal auch an Bewusstsein dafür, dass in diesem Alter keine Schulklassengröße gebucht werden kann und dass sehr junge Kinder andere Pausenzeiten sowie verlässliche Bezugs- und Bindungspersonen brauchen. Ich beobachte aber, dass Kultureinrichtungen sich immer flexibler zeigen und Kindergarten-Gruppen inzwischen weniger häufig in ein starres organisatorisches Raster pressen als früher. Auch ist heute oft das gesamte Personal, nicht nur die Vermittler, besser auf junge Kinder vorbereitet. Da wird oft nicht mehr so schnell ermahnt, wenn es etwas lauter oder bewegter wird.
Christina Langhorst: Eine vermutlich sehr viele Einrichtungen betreffende Herausforderung ist der Fachkräftemangel in der Kita, der bedingt, dass die Zeitressourcen für die Freistellung von zwei Begleitpersonen für die Gruppe oft sehr eng sind. Hier braucht es für eine gute Bildungsarbeit dringend eine Entspannung der Lage. Und ich wünsche mir, dass Kunstvermittler und -vermittlerinnen noch stärker in die Kitas kommen, um mit uns und den Kindern gemeinsam Besuche vorzubereiten.
Natalie Kronast: Mobile Angebote der kulturellen Bildung sind besonders für den ländlichen Bereich interessant. Hier können Träger sich noch stärker engagieren und initiieren, dass Kulturorte solche Angebote schaffen. Auch bei anderen Herausforderungen sehe ich uns als Träger in der Pflicht, unsere Kindergärten möglichst individuell und passgenau zu unterstützen. Das gilt zum Beispiel auch bei der Akquise von notwendigen finanziellen Mitteln.
Bettina Marsden: Ein großer Wunsch von uns ist, dass die Zusammenarbeit mit kulturellen Einrichtungen bereits ein Thema in der Ausbildung von Pädagogen wird. Im Rahmen unseres Kooperationsvertrags ist es uns gelungen, eine Ausbildungseinrichtung einzubeziehen, und wir merken, wie sehr alle Beteiligten davon profitieren.
Erstveröffentlichung des Beitrags in: Zeitschrift frühe Kindheit, 5/20, 23. Jahrgang, Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft e. V.