Bevor wir erfahren, wer Sie sind und was Sie machen, möchten wir Sie fragen: Welche Adjektive fallen Ihnen ein, wenn Sie an frühkindliche kulturelle Bildung denken?
Ich denke an die Adjektive: notwendig, essentiell, nachhaltig, unterbezahlt, künstlerisch, unsichtbar und wertvoll.
Und nun freuen wir uns über ein paar Worte über Sie: Wer sind Sie? Was machen Sie?
Ich bin Lisa Vera Schwabe, Dipl. Kulturwissenschaftlerin und arbeite als Autorin, Theatermacherin und Lehrerin für das Schulfach Lebenskunde. Seit 2010 bin ich für zahlreiche partizipative Projekte für Kinder verantwortlich, u.a. Verwandelt (GRIPS Theater). Als Künstlerin entwickelte ich in der Pilotphase des TUKI ForscherTheater das Konzept mit und arbeitete für das Programmformat und für weitere Initiativen, u.a. lab.Bode – Initiative zur Stärkung der Vermittlungsarbeit in Museen. Seit 2019 schreibe ich Audio Walks, u.a. für die Amerika-Gedenkbibliothek und die Neue Nationalgalerie. 2022 entwickelte ich das Karten-Set Baumbegegnungen – Ein Streifzug mit Kindern, das jetzt berlinweit in Kitas und Schulen genutzt wird. Meine Arbeiten sind Mischwesen. Es sind Projekte im Grenzbereich zwischen Kunst und Vermittlung. Meine Schwerpunkte liegen dabei auf interdisziplinären Methoden, performativen Verfahren und künstlerisch-forschenden Projekten. Ich recherchiere rechts und links, grabe tief, lasse mich überraschen und suche dabei immer nach neuen Formen des Erzählens. Ich lebe mit meiner Familie in Berlin.
Sie haben viele großartige Projekte der frühkindlichen kulturellen Bildung entwickelt. „Baumbegegnungen“ ist Ihr neuestes Projekt. Können Sie uns mehr dazu erzählen?
Im Herbst 2022 begab ich mich gemeinsam mit der Regiesseurin Franziska Seeberg, dem Soundkünstler Norbert Lang und einer Gruppe Kita-Kindern auf Streifzüge rund um den Hahneberg in Berlin-Spandau. Wir hatten 6 Tage zusammen, in dem wir die Bäume vor Ort kennenlernen wollten, Birken, Robinien, Kiefern, alte und junge Bäume, ihre Wurzeln, Äste, Zweige und Blätter. Am Ende waren wir der Landschaft nahe gekommen. Wir hatten für einzelne Bäume ein konkretes Gespür entwickelt, jede*r von uns für einen anderen Baum und haben uns an das Gefühl herangetastet was es heißt „Baum“ zu sein. Aus den Erfahrungen in diesem Projekt, aus den Fragen und entwickelten Methoden habe ich ein Karten-Set zusammen gestellt, das jetzt Deutschland weit in Kitas, Schulen, in Ausbildungsstätten und Museen genutzt wird. Das besondere an dem Karten-Set ist, dass es möglichst niedrigschwellig funktioniert. Die Karten untern Arm geklemmt, zack, zum nächsten Ort, wo es Bäume gibt. Das kann der Wald hinter der Kita sein, aber auch der Spielplatz um die Ecke, wo nur 2, 3 Bäume stehen oder auch das Fenster mit Blick auf Bäume. Es braucht keine große Vorbereitung, kaum zusätzliches Material, die Karten sind Anregung genug. Ganz einfach zum Ausprobieren, ein Impuls für die kleine Baumbegegnung im Alltag, oder wenn man weiter gehen mag, als Material für ein großes Baum-Projekt. Auf jeden Fall macht es sehr viel Spaß, so viel, dass ich aktuell an der Fortsetzung arbeite. Wetterkarten heißt das neue Projekt, in dem ich gemeinsam mit einer 3. Klasse Menschen auf der ganzen Welt frage: Wie ist dein Wetter heute? Die Antworten sind bald zu finden unter: www.sonneregenwolken.de. Sobald die Finanzierung geklärt ist wird auch für Wetterkarten ein Karten-Set erscheinen.
Inwiefern kann kulturelle Bildung auch Themen der Nachhaltigkeit bedienen? Wieso ist v.a. frühkindliche kulturelle Bildung und Nachhaltigkeit so ein gutes Match?
Im Rahmen der Kulturellen Bildung können echte, sinnliche Erfahrungen gemacht werden. Als Künstler*innen geben wir Impulse dazu sich berühren zu lassen, von einer Frage, einer Thematik, einer Sache mitgenommen zu werden. So wie wir selbst von etwas berührt sind, einer Frage immer weiter nach gehen, ein Thema mit uns herum tragen. Wenn du dich erstmal wirklich verbunden hast mit einer Frage oder einem Thema, dann geht das Interesse dazu nicht mehr weg. Das ist ein großer Schatz. Und wenn du im jungen Alter, als kleines Kind mit Bäumen in eine sinnliche Berührung gekommen bist, wenn sie dich interessieren, wenn du wirklich erlebt hast, wie sie sich anfühlen oder dir Schatten spenden an einem heißen Tag. Wenn du das erfahren hast, anstatt es nur zu wissen, dann wird diese Naturerfahrung Bestandteil deiner Verstehbarkeit der Welt. Und wenn das so ist, dann geht diese Verbindungen über das klassische Wissen von Baumarten und Pflanzenbestimmungen hinaus. Deine Erfahrung läßt dich eine Wertschätzung entwickeln, eine Herzensverbindung, die endlos ist, im Gegensatz zu Wissen, das immer endlich ist, und du fühlst, dass die Natur um uns herum, schützenswert ist und dass wir auf sie Acht geben müssen.
Das Thema Nachhaltigkeit und kulturelle Bildung ist nur ein gutes Match, es gibt viele weitere gute Matches in der frühkindlichen kulturellen Bildung.
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich für frühkindliche kulturelle Bildung einzusetzen?
Die offene Perspektive der Kinder, ihre Sicht auf die Welt um sie herum, das inspiriert mich. Wir treffen uns im freien Betrachten, im Ausprobieren. Die Arbeit mit und für Kinder ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich zeige mich in diesen schönen Projekten mit meinen Themen und Fragestellungen, mit meinen Interessen und meinen Gefühlen. Gleichzeitg möchte ich von den Interessen der Kinder erfahren und ihre Anliegen hören. Sie und ich, wir berühren uns und dann ensteht was Neues. Ich bestärke ihre Sicht auf die Dinge, füge Neues hinzu und erweitere ihren Blick, so wie sie meinen erweitern. Ich sage, dass was du denkst und fühlst ist wichtig, es hat Wert und schaffe echte Bildungserfahrungen, die die Neugier nicht abbrechen lassen. Ich tue dies weil wir zusammen auf dieser Welt wohnen und weil es mir ganz eigennützig viel Spaß bereitet und meine eigene künstlerische Arbeit bereichert.
Zum Abschluss wollen wir einmal in die Zukunft schauen: Wie müsste eine Welt aussehen, in der unser Netzwerk nicht mehr benötigt wird?
Ich glaube, das Ziel sollte nicht sein, dass es dieses Netzwerk nicht mehr gibt, sondern eher dass es sich zu einem festen, nicht mehr wegzudenkenden, integralen Bestandteil fest im Bildungsystem verankert hat. Künstler*innen unterstützen Erzieher*innen und Lehrer*innen in ihrem Bildungsauftrag, in dem sie sinnliche, ästhetische Erfahrungen ermöglichen, ungewöhnliche Gedankenspiele anregen und künstlerischen Fragestellungen Raum geben. Erst dieses Zusammenspiel kann eine Gesellschaft wachsen lassen, welche aufeinander acht gibt, immer wieder flexible Lösungen findet und sich auf Neues einlassen kann.
Mehr zu Lisa Vera Schwabe und „Baumbegegnungen“ zum Bestellen gibt’s unter: www.lisaveraschwabe.com